TikTok: Noch mal. Noch mal. Noch mal. Hit!

Dieser Beitrag erschien am 20. März 2021 auf zeit.de

TikTok ist nicht nur die Plattform der Generation Z: Längst bestimmt sie auch mit, welcher Song Charterfolge feiert. Das verändert die Popmusik.

Wer hat den Schrott eigentlich produziert? Das fragen sich Eltern seit Jahrzehnten, wenn sie die Musik ihrer Kinder hören. Heute leiden Mütter und Väter mehr denn je: Sie dürfen sich die immer gleichen fünfzehn Sekunden eines Liedes anhören, wenn ihre Kinder neben ihnen auf dem Smartphone bei TikTok unterwegs sind. Denn dort werden, Clip für Clip, Challengeteilnahme für Challengeteilnahme, immer die gleichen Songfragmente durchgenudelt. Das zerrt nicht nur an den Nerven der erziehungsberechtigten Elterngeneration, es verändert auch, wie Popmusik entsteht – und was wie zum Hit wird.

So geschehen etwa bei der Newcomerin Lune. Vor dem vergangenen Spätsommer kannte kaum jemand die 18 Jahre alte Sängerin aus Sinsheim. Dann lud sie einen kurzen Ausschnitt ihres Songs Gebe auf bei TikTok hoch – und der Schnipsel verbreitete sich dort viral in einem unglaublichen Tempo. Und das, bevor das Lied auf klassischen Streamingplattformen überhaupt in voller Länge veröffentlicht war.

Inzwischen sind etwa 45.000 TikTok-Videos entstanden, die den kurzen Ausschnitt aus Lunes Song nutzen. Sie wurden insgesamt mehr als sieben Millionen Mal angeschaut. Heute hat das Lied alleine auf Spotify mehr als 42 Millionen Aufrufe, die Sängerin gilt als eine der gefragtesten Newcomerinnen Deutschlands. Man könnte also durchaus sagen: Der Song hat einen Nerv getroffen – vor allem auf TikTok. Dort also, wo besonders junge Nutzerinnen und Nutzer unterwegs sind: Etwa 69 Prozent der Menschen, die die Social-Media-App nutzen, sind zwischen 16 und 24 Jahren alt. Eine Zielgruppe, die für die Major Label der Musikindustrie schon immer besonders relevant war.

Von der Playback-Show zur Hitmaschine

Verwunderlich sind solche Zusammenhänge nicht. TikTok und Musik, das gehört zusammen. Immerhin hieß die Vorgänger-App der Social-Media-Plattform bis 2018 noch Musical.ly. Das Prinzip von Musical.ly war simpel: Junge Menschen tanzen und performen zu Musik, bewegen ihre Lippen zum Text und laden davon Videos in einer App hoch. So funktioniert TikTok im Grunde noch heute, auch wenn sich längst nicht mehr alle Videos auf Lipsyncing beschränken und die Inhalte vielfältiger sind. TikTok-Clips sind fünfzehn bis maximal sechzig Sekunden lang.

Sounds und Video sind bei TikTok nicht zwangsläufig aneinander gekoppelt. Viele Nutzerinnen und Nutzer veröffentlichen ihre Videos mit einer anderen Tonspur. Etwa, weil sie Reden von Donald Trump lipsyncen und so eine Comedy-Nummer daraus machen. Oder eben, indem sie ein eigenes Video mit einer Musik unterlegen – etwa um die passende Stimmung für die wenige Sekunden langen Clips direkt anzuzeigen. Gefällt einem User die Musik eines Videos, kann er sie hinter sein eigenes Video legen und so weiterverbreiten. Blitzschnell können sich so auch bislang völlig unbekannte Songs verbreiten. Mit exponentiellem Wachstum, wie bei einem Virus.

Was man derzeit klar sehen kann: TikTok macht Musik populär, verändert die Mechanismen, wie Songs populär werden. Aber beeinflusst die Plattform auch, wie sich Popmusik anhört? Und was braucht ein Lied, damit es sich auf TikTok so schnell verbreitet, damit es in der App erfolgreich ist?

Wiederholung, Parodie, Wiederholung, Ohrwurm

„Hey TikTok, Habibi, ich küss dein Auge, lass meine Hörprobe viral gehen“ – mit diesen Worten richtet sich die junge Sängerin Lune im August 2020 an die TikTok-Community. Sie bewarb damit ihre erste Single. Dass sie damit auf TikTok so viel Anklang fand, mag natürlich einerseits mit dem Song selbst zusammenhängen: Es ist ein Popsong über eine Trennung. Eingängig, adaptierbar, perfekt auf die junge Zielgruppe zugeschnitten, die auf TikTok unterwegs ist.

Was die Verbreitung des Liedes aber außerdem befeuert haben dürfte: In der Adaption von Lunes Textzeile durch einen anderen TikToker heißt es nicht mehr „unloyal“, wie im Original, sondern plötzlich „unjonjal“. Ein Versprecher, der zur Parodie wird – und ebenfalls viral geht. Auch das ist typisch TikTok. Ein einzelnes Wort wird zum Gag, wird tausendfach geteilt, taucht in neuen Clips wieder und wieder auf und bleibt schließlich durch die immer wiederkehrende Verwendung im Kopf hängen. Ist der Ohrwurm erst mal entstanden, egal, ob im Original oder als Parodie, folgen schnell die Streams und Abrufe über andere Plattformen wie Spotify, YouTube und andere. 

Was TikToks Maschinen groß machen

Apropos YouTube: Bis vor wenigen Jahren galt der Videodienst noch als tonangebend für den Musikkonsum der jungen Generation. Etliche Teenie-Idole sind durch YouTube groß geworden, haben Karriere gemacht und ihre Musik erfolgreich vermarktet. Bekanntestes Beispiel: Justin Bieber. Und dann kam TikTok. Klar, die Plattformen unterscheiden sich natürlich in der Länge der Videos. Sehr viel entscheidender ist aber etwas anderes: YouTube beschallt die Konsumenten nur, genauso wie Radio und Fernsehen. Zwar kann auch bei YouTube jede Empfängerin auch zur Senderin werden, selbst Videos machen und hochladen. Und natürlich reagieren die teils auch aufeinander, oder aber Zuschauerinnen hinterlassen Kommentare. Im Vergleich zu TikTok sind diese Interaktionsmöglichkeiten jedoch noch sehr gering – und damit auch der tatsächliche Austausch zwischen Videomachern und dem Publikum. Kürzer, noch einfacher, noch partizipativer: Auch ein Zufallserfolg auf YouTube ist weniger wahrscheinlich als bei TikTok.

Dass Lieder heute bei TikTok potenziell so viel schneller erfolgreich sein können als auf anderen Plattformen, hängt aber nicht allein an der Interaktion der Generation Z mit der Musik. Auch TikTok selbst hat einen immensen Anteil daran, Viralität zu befeuern. Anders als bei anderen Plattformen bekommen Nutzer nämlich nicht nur den Content von Menschen gezeigt, die sie abonniert haben, TikTok zeigt Inhalte über den sogenannten Für-Dich-Feed. Dieser Feed ist praktisch die Startseite der App, das Erste, was die Nutzerinnen und Nutzer beim Öffnen von TikTok sehen. Was hier angezeigt wird, haben TikToks Empfehlungssysteme für jede Nutzerin und jeden Nutzer individuell errechnet.

Das bedeutet: Stärker als bei anderen Plattformen gestalten TikToks Algorithmen mit, welche Inhalte Nutzerinnen und Nutzer angezeigt bekommen. Für viele Beobachter liegt darin eines der Geheimnisse des schnellen Erfolgs der Plattform. Das Unternehmen selbst sagt: „Damit der Für-Dich-Feed interessant und abwechslungsreich bleibt, ist das Empfehlungssystem von TikTok so aufgebaut, dass nicht nur Inhalte angezeigt werden, die sehr wahrscheinlich von Interesse sind, sondern auch neue Themen zum Entdecken.“

Welche exakten Kriterien bei der Auswahl des Inhalts genau angelegt werden, gibt TikTok nicht wirklich preis. Eine größere Rolle spielt das persönliche Nutzungsverhalten einer Person, besonders stark soll das Empfehlungssystem aber auch davon beeinflusst werden, ob User ein Video von vorne bis hinten oder sogar mehrmals ansehen. Er bestimmt also durchaus, welche Videos vom TikTok-Algorithmus gepusht werden. Das Unternehmen selbst betont aber auch, dass weder die Followerzahl noch der Erfolg früherer Videos direkten Einfluss darauf haben, wie stark ein Clip empfohlen wird. Soll wohl heißen: Alles kann jederzeit viral gehen, Prominenz allein ist kein Erfolgsgarant. Auch das macht die Plattform attraktiv für Neulinge – und auf eine Art riskant für etablierte Künstlerinnen und Künstler.

Musik als Mittel zur Selbstinszenierung

Was TikTok als Plattform von anderen Medien für Musikstreaming unterscheidet, untersucht Matthias Pasdzierny, Musikwissenschaftler an der Universität der Künste in Berlin. „TikTok hat gemacht, dass es bei Musik plötzlich nicht mehr um das Werk selbst geht“, sagt er. „Musik dient heute der Kommunikation.“ Und tatsächlich generiert TikTok zwar Ohrwürmer am Fließband, in den seltensten Fällen steht in den Videos aber die Musik im Mittelpunkt. Stattdessen bedienen sich die TikTok-Userinnen und -User mehrheitlich einfach der Songschnipsel, um ihre eigentliche Video-Idee zu untermalen. So findet sich eine Songzeile aus Lunes Trennungssong Gebe auf, die von Betrug und Verrat erzählt, in Clips zu völlig anderen Themen wieder. Etwa in einem mit dem Titel Wenn die beste Freundin bei McDonald’s war und dir nichts mitgebracht hat.

Musik, so glaubt Pasdzierny, ist heute nur noch ein Mittel zur Selbstinszenierung. Die künstlerische Schöpfung rückt in den Hintergrund. Musik müsse so funktionieren, dass sie möglichst viel Raum für Interpretation lasse. Songparodien gab es zwar auch schon im Radio und, ja, auch auf anderen Onlineplattformen. TikTok demokratisiert diesen Zugang zu Liedern aber noch weiter als bislang. Jeder und jede kann mitmachen.

Denkt man Musik so, wirkt sich das auf die Art und Weise aus, wie Popsongs strukturiert werden. Die Hook, der eingängigste Teil eines Popstücks, rückt an den Anfang, lange Intros fallen weg, die Musikstücke werden insgesamt immer kürzer – solche Entwicklungen kann man zumindest im musikalischen Mainstream laut Pasdzierny schon seit Längerem beobachten. Er sagt aber auch: Musik wird durch die Einflüsse von TikTok anders komponiert als noch vor einigen Jahren.

Kurz, eingängig, simple Strophen – fertig ist der TikTok-Hit

Auch Producerinnen und Künstler, die ihre Musik über TikTok vermarkten wollen, berichten davon, dass sie die Social-Media-App und ihre Funktionslogiken im Entstehungsprozess ihrer Lieder einkalkulieren. Jamal Edin El-Bahri, genannt Jamoo, ist mit 3,2 Millionen Followerinnen und Followern einer der reichweitenstärksten TikToker Deutschlands. Normalerweise drehen sich seine Videos darum, wie er seine Haare färbt, seiner Familie und Freunden Streiche spielt oder einer anderen TikTokerin Liebeserklärungen macht. Seit Kurzem macht Jamoo aber auch Musik. Seine Social-Media-Reichweite macht es möglich. Denn so sehr TikTok auch verspricht, dass jeder dort viral gehen kann: Wer Millionen Follower hat, profitiert von dieser Fanbase natürlich. 

Musik, die auf TikTok erfolgreich ist, soll laut Jamoo nach einem bestimmten Schema funktionieren. Ein sommerlicher Elektrobeat mit einem Hauch Dancehall, ein knackiger Spruch, Wiederholungen – die Songs auf TikTok sind wenig komplex; sie unterhalten. Das gilt für Popsongs natürlich ohnehin, wird für TikTok-optimierte Tracks aber noch weiter übersteigert.

„Es kommt auf jeden Fall vor, dass gewisse Lines, vor allem am Ende der Bridge und in der Hook, so geschrieben werden, dass sie auf TikTok möglichst gut funktionieren und mitgesungen werden können“, sagt Musikquereinsteiger Jamoo. Es werde aber nicht jede Songzeile auf TikTok geeicht – immerhin reiche es ja, wenn ein kurzer Ausschnitt von fünfzehn bis sechzig Sekunden auf TikTok funktioniere. Dass Musik dadurch vorhersehbarer werde, leidenschaftsloser, sieht Jamoo nicht.

Zumindest für seine Tracks scheint das zu funktionieren: Allein der Ankündigungsclip für seinen kürzlich veröffentlichten Song Sag mir wurde 768.000 Mal angeklickt, auf YouTube verzeichnete er innerhalb von zwei Monaten knapp anderthalb Millionen Streams. Ähnliche Erfolge konnten auch andere erfolgreiche TikToker mit Musik verzeichnen.

„Hit oder Müll?“

Doch es gibt auch Beispiele, die zeigen, dass es diese Prominenz für einen TikTok-Viral-Erfolg tatsächlich nicht unbedingt braucht. Die junge kanadische Singer-Songwriterin Jessia etwa hatte noch keine bemerkenswerte Reichweite auf TikTok, bevor sie dank eines TikTok-Videos einen Viralhit landete. Anfang Januar dieses Jahres postete die Musikerin ein Video von sich in einem Auto. „Keine Ahnung, ob das voll der Müll ist – oder doch vielleicht ein Hit“, sagt sie in die Handykamera, klatscht dann provisorisch einen Beat auf dem Lenkrad ihres Autos und singt die ersten Takte eines Refrains.

Ob das Müll ist? Die Entscheidung nimmt ihr die Community ab, der kurze Clip wird ein Hit. Schließlich wird der Produzent Elijah Woods auf den Clip aufmerksam, legt in einem eigenen TikTok-Video elektronische Beats und ein paar andere Sounds unter den Gesang der Kanadierin und fertig ist der Song. Innerhalb von zwei Tagen haben die beiden das Lied tatsächlich gemeinsam produziert und veröffentlicht. Die Konsequenz: In nur zwei Monaten wurde der so entstandene Song I’m not pretty mehr als vierzig Millionen Mal bei Spotify abgespielt.

Der so entstandene Track erfüllt die Kriterien, die Jamoo für einen Erfolg auf TikTok ausgemacht hat. Es ist kurz, eingängig, hat eine prägnante Hook und simple Strophen. Der Song ist Pop. Dass das Lied auf TikTok und auch auf anderen Streaming-Plattformen funktioniert, ist also nicht wirklich überraschend.

Überraschender dürfte für viele da eher der Sound des aktuellen Nummer-eins-Hits der deutschen Singlecharts sein. Wellerman ist zwar ebenfalls in Folge eines viralen TikTok-Videos entstanden, der Sound hat mit aktueller populärer Popästhetik aber wenig gemein. Denn es ist eine Coverversion des mehr als hundert Jahre alten Sea-Shantys Soon may the Wellerman Come, ein aus Neuseeland stammendes Walfänger-Lied. Der Musiker und zum Zeitpunkt der Aufnahme hauptberuflich als Postbote tätige Nathan Evans hatte eine Acapellaversion des Liedes für TikTok aufgenommen und begeisterte damit die Community. Ganze fünfzehn Millionen Mal wurde das Originalvideo von Evans gesehen. Videos, die den Hashtag #wellerman verwenden, wurden sogar 318,7 Millionen Mal angeschaut. Der Wellerman-Song zeigt: Auf TikTok funktioniert nicht nur, was eh schon im Trend ist, TikTok setzt Trends.

Klassik gibt es auf TikTok eher nicht – noch nicht

Andre „Brix“ Buchmann ist Gründer und Manager der Bitstream Media Lab. Mehr als zwanzig Jahre war Buchmann selbst Musikproduzent, heute managt er mit seiner Künstleragentur große TikToker. Das Interessante an der Social-Media-Plattform sei für ihn, dass Labels und Unternehmen wohl noch nie bessere Markt- und Zielgruppenforschung betreiben konnten, sagt er. Labels und Produzenten sehen sofort, was bei der Community ankommt und was floppt – und zwar tiefgreifender, als das über die reinen Abrufzahlen bei YouTube oder Spotify sichtbar ist. „Das ist im Grunde eine basisdemokratische Entscheidung“, sagt er. „Im Unterschied zu Radio und Musikfernsehen.“ Die Musik wird nicht von Entscheiderinnen kuratiert, sondern von der Crowd. „TikTok ist ein echter Segen für die Musikindustrie“, sagt er.

Kritik am Einfluss von TikTok auf die Musikbranche wird derzeit wenig formuliert. Manager und Produzentinnen schätzen die Plattform, Labels generieren zusätzliche Einnahmen über Verträge mit TikTok. Und auch der Musikwissenschaftler der UdK, Matthias Pasdzierny, hat am Einfluss der Plattform nichts zu meckern. Musik habe sich mit jedem neuen Medium schließlich schon immer irgendwie verändert, sagt er. Wobei man wohl differenzieren muss: TikTok hat am Ende des Tages nur Einfluss auf den Mainstream. Andere Genres, Klassik etwa oder Techno, gelten bisher als nicht tiktokable und finden auf der Plattform praktisch nicht statt.

Dreiundvierzigster Sommer

Von TikTok profitieren aber auch Lieder, die ihre Chartserfolge eigentlich bereits vor Jahrzehnten gefeiert haben. Denn auch der 43 Jahre alte Song Rasputin von Boney M. trendet gerade auf TikTok. Videos mit #rasputin wurden auf der Plattform eine Milliarde Mal angeschaut. Der Grund dafür: Ein Mann in Cowboyklamotten hat ein Video zu dem Song aufgenommen und damit eine Challenge ins Leben gerufen. Während im Hintergrund die Textzeile „he was big and strong, in his eyes a flaming glow“ gesungen wird, spannen TikTok-Nutzerinnen und -Nutzer ihre Muskeln an und posten die Videos davon auf der Plattform. Die haben wenig Tiefgang und die Musik untermalt wieder nur die Selbstdarstellung der User. Doch das dürfte dem 80 Jahre alten Produzenten des Songs, Frank Farian, und Boney M.s Musiklabel Sony Music herzlich egal sein – denn wer hätte gedacht, dass sich mit einem alten Titel aus ihrem Katalog noch einmal so viel Geld machen lässt? Sony verdient dabei nicht nur an vermehrten Streams, sondern auch über Deals mit TikTok. Über die Einzelheiten zu Urheberrechtsvereinbarungen oder auch gemeinsamen Marketingdeals machen aber weder Label noch TikTok konkrete Angaben.

In jedem Fall hat Sony den Hype auf TikTok früh erkannt und das Angebot entsprechend aufpoliert. Das Label ließ eine Instrumentalversion von Rasputin produzieren, sodass jede, die mag, selbst noch mal Karaoke darüber singen kann, und richtete einen eigenen TikTok-Account für Boney M. ein, um noch mehr Aufmerksamkeit für die längst aufgelöste Diskogruppe zu generieren. Die Streams von Rasputin sind weltweit in die Höhe geschossen. Ein Remix des Liedes durch den Künstler Majestic hat es sogar in die Top-100-UK-Charts geschafft. Manchmal hilft TikTok bei solchen Wiederentdeckungen nach: Gemeinsam mit Partnerlabels bewirbt die Plattform extra Challenges, in denen die Community aufgerufen wird, zum Beispiel Videos zu alten Hits zu machen. Doch ob und für welchen Song das aufgeht, bestimmt am Ende eben doch die Community damit, zu welchen Liedern sie singt, tanzt und Witze macht.  

Zumindest um zu verstehen, welche Trends bei der jungen Generation eine Rolle spielen, ist TikTok mit all seinen Metriken und Interaktionsmöglichkeiten perfekt. Welcher unbekannte Song groß wird und welcher längst vergessene Track ein Revival erlebt, darüber entscheiden winzige fünfzehn Sekunden Songschnipsel. „Meist fällt die Entscheidung aber noch schneller“, sagt TikTok-Manager Buchmann. „Die junge Generation hat eine Aufmerksamkeitsspanne wie ein Goldfisch.“